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Pater Karl Kern SJ war an Allerheiligen, dem  "Ostern des Herbsts", wie er sagte, zu Besuch in seiner Heimatstadt Obernburg und hielt die Messe.

Josefine Wollmann hatte im Namen des Gemeindeteams wieder für alle Verstorbenen der Pfarrei St. Peter und Paul Kerzen mit deren Namen vor dem Altar aufgestellt und geschmackvoll dekoriert. 

Pater Kern predigte über Pater Alfred Delp SJ und die Schlüsse, die wir aus seinem Leben ziehen sollten. Er hat uns die Predigt zur Verfügung gestellt, so dass wir sie hier wortgetreu wiedergeben können. Zusätzlich ist sie auch noch zum Anhören da. Auch wenn das Leben von Pater Delp grundästzlich bekannt ist, erfuhren die Besucher des Gottesdienstes doch vieles, das sie vorher so nicht wussten. Lesen Sie/hören Sie die Predigt, es lohnt sich:

 Leben und Werdegang
Alfred Delp wurde am 15. September 1907 in Mannheim geboren und zweiTage später katholisch getauft. Er stammte aus für die damalige Zeit sehr ungeordneten Verhältnissen: Seine Mutter Maria kam aus einer urkatholischen Familie, sein Vater Johann Adam entstammte einer seit Generationen protestantischen Sippe. Die beiden hatten bereits eine gemeinsame Tochter und waren auch bei Alfreds Geburt noch nicht verheiratet. Erst im Oktober 1907 wurde die Ehe formell geschlossen. Eine konfessionsverschiedene, lange Zeit „wilde“ Ehe – das bot reichlich Konfliktstoff in der Verwandtschaft!


Die Familie zog 1914 in die südhessische Arbeiterstadt Lampertheim mit gut 8000 Einwohnern. In der überwiegend evangelischen Stadt fand man ab 1923 mit den inzwischen sechs Kindern eine Wohnung in einem katholischen Vereinsheim. Alfred besuchte – es gab zur damaligen Zeit nur Konfessionsschulen – die evangelische Volksschule, was vermutlich der protestantischen Verwandtschaft und Umgebung geschuldet war. Die
Geschwister gingen sonntags in die katholische Kirche, besetzten dort eine Bank, auch mit einem Platz für die Mutter, die immer erst in letzter Minute dazukam. Der Vater blieb zuhause. Die Mutter hatte gute Kontakte zum
katholischen Pfarrer und so entwickelte sich auch eine engere Beziehung zu Alfred.


Der war ein unternehmungslustiger Junge, er sei ein „Strick“ gewesen, wie er noch aus dem Gefängnis seiner Sekretärin schrieb. „Lass dir von meiner Mutter keine ‚Heiligenlegenden‘ über mich erzählen,“ legt er ihr nahe. Der wilde Lausbub war allerdings beim Religionsunterricht immer sehr aufmerksam. Beim Konfirmandenunterricht 1921 kam er zu spät. Seine Erklärung, er sei beim katholischen Pfarrer gewesen, führte zu einer Ohrfeige durch den evangelischen Pfarrer. Der 14jährige kehrte daraufhin der evangelischen Kirche den Rücken und empfing nach der Konfirmation die Erstkommunion und die Firmung.
Der junge Kerl muss große innere Autarkie besessen haben, um sich völlig umzuorientieren! Der katholische Pfarrer erkannte in ihm schon früh den religiös Interessierten und Hochbegabten und schickte ihn nach Dieburg ins katholische Bischöfliche Seminar. Er war in der Schule kein Musterknabe, geschweige denn ein Streber, doch zweimal übersprang er eine Klasse und legte als Klassenbester das Abitur ab.

Nach dem Abitur 1926 trat Delp ins Noviziat der Jesuiten in Tisis, Vorarlberg, ein. Seine hohe intellektuelle Begabung, seine enorme Belesenheit und sein Dickschädel fielen schon damals auf. Er sprühte vor Energie und Idealismus und hatte breitgestreute Interessen, eckte aber auch durch eine gewisse Schroffheit an. Er schien von sich eingenommen, aber auch in sich verschlossen zu sein. 1928 wechselte er an das 1925 gegründete Berchmanskolleg nach Pullach, den Vorläufer der heutigen Hochschule für Philosophie. Sein Hauptinteresse galt der zeitgenössischen Philosophie und sozialen Fragen. Er hat schon sehr früh die Gefahr gesehen, die von den Nationalsozialisten drohte. 1930 schrieb er seinem Bruder: Wenn „bestimmte Richtungen die Mehrheit bekommen, sind wir die ersten, die ans Messer kommen“.
1931 ging Delp zurück nach Vorarlberg und wurde Erzieher im Jesuitenkolleg Stella Matutina, Feldkirch. 1934 wechselte er ins Theologiestudium nach Valkenburg in Holland, kurz hinter der Grenze bei Aachen, und siedelte 1936 ins neue Studienhaus St. Georgen in Frankfurt um. 1937 wurde er in St. Michael, München, zum Priester geweiht. Vergeblich versuchte er 1939 an der Philosophischen Fakultät der Universität München die Zulassung zur Promotion zu erhalten. Jesuiten galten den Nationalsozialisten als staatsgefährdende Elemente. So kam er als Redaktionsmitglied zu der Kulturzeitschrift „Stimmen der Zeit“. Im Sommer 1941 mussten die „Stimmen“ ihr Erscheinen einstellen.
Delp fand als Kirchenrektor von St. Georg in Bogenhausen im dortigen Pfarrhaus eine Bleibe. Er hatte viel Zeit, Einkehrtage zu halten und zu Tagungen und Vorträgen in ganz Deutschland zu fahren. Er engagierte sich in der
deutschlandweiten Männerseelsorge und prägte mit seiner intellektuellen Brillanz deren Zentralstelle in Fulda.
Delp wirkte in Bogenhausen als begnadeter Prediger und Seelsorger, aber auch als zupackender Helfer. Er grub nach Luftangriffen 1942mit seinen Helfern verschüttete Menschen aus den Trümmern heraus. Ende April 1944
verwandelten britische Bomber die Stadt München in ein Flammenmeer. Delp predigte von zerbombten Häusern und zerstörten Menschenleben. Er versuchte immer wieder, die Verantwortung des Christen für die Welt und die Beheimatung im Ewigen zusammenzubringen. Gott als tragende Mitte des verlorenen Menschen, das ist sein großes Thema. Immer virtuoser beherrschter die Kunst, verbotene Wahrheiten verklausuliert, für die Gestapo getarnt, aber für wache Zuhörer direkt und offen anzusprechen.
Er unterstützte und versteckte auch verfolgte Juden. Er beschaffte Geld und Lebensmittelkarten für sie, brachte sie in oberbayerischen Jugendheimen unter oder erkundete abenteuerliche Fluchtwege. Für ihn war klar: Die Kirche hat jeder „bedrohten Kreatur“ beizustehen, denn in ihr verbirgt sich „das Antlitz Gottes“!


Kreisauer Kreis
Ab Frühjahr 1942 arbeitete Delp im „Kreisauer Kreis“ mit, benannt nach einem Schloss in der Nähe von Breslau. Dort versammelte Graf Helmuth James von Moltke eine buntgemischte Gruppe von Fachleuten, die Modelle für einen Neuaufbau Deutschlands nach dem Kriegsende entwickelten: Achtung der Menschenwürde, Wiederherstellung der Rechtssicherheit, Anerkennung der Freiheitsrechte des Einzelnen, föderaler Aufbau, Selbstverwaltung, Verstaatlichung der Großindustrie, europäischer Staatenbund, Verhinderung totalitärer Herrschaft, Kontrolle staatlicher Macht, Mitbestimmung – das waren die Grundideen. Der Kreisauer Kreis hat die Neuordnung Westdeutschlands nach dem Krieg mitgeprägt, doch der damalige radikale Erneuerungswille hat sich nicht durchgesetzt.


Verhaftung und Gefängnis
Am 28. Juli 1944 wurde Delp nach der Frühmesse in St. Georg, Bogenhausen, verhaftet. Seine Teilnahme am Kreisauer Kreis war nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli aufgeflogen. Da er Anfang Juni 1944 zu einem Blitzbesuch bei Stauffenberg in Bamberg war, geriet er in den Verdacht der Mitwisserschaft. Er war jedoch nicht in die Attentatspläne eingeweiht und hätte sie auch nicht gebilligt. Deshalb sah er auch keinen Grund unterzutauchen. Nach zehn Tagen wurde er von München nach Berlin ins Gestapo-Gefängnis Lehrterstraße überstellt. Dort durchlebte er die schlimmste Zeit von Folter und Erniedrigung. Delp gestand in einem Brief vom 16. Dezember an seine Sekretärin, er sei „in manchen Stunden nur mehr ein blutiges Wimmern“ gewesen. Im Januar 45 schrieb er: „Wenn ich an die Nacht in der Lehrterstraße (Gestapozentrale) denke, in der ich Gott um den Tod gebeten habe, weil ich diese Ohnmacht nicht mehr ertragen konnte, dieser Wucht und Wut mich nicht mehr gewachsen fühlte. Wie ich die ganze Nacht mit dem Herrgott gerungen
und einfach meine Not ihm hingeweint habe. Und erst gegen Morgen strömte die große Ruhe in mich ein, eine beglückende Empfindung von Wärme und Licht und Kraft zugleich, begleitet von der Erkenntnis: du musst es durchstehen – und gesegnet durch die Zuversicht: du wirst es durchstehen.“
Am 27. September wurde er dann in das Gefängnis Berlin-Tegel verlegt, das von regulären Beamten geführt wurde. Er lebte in einer winzigen Zelle „drei Schritte vor, drei Schritte zurück“, das elektrische Licht brannte Tag und Nacht, die Hände in Eisen und gefesselt. Er konnte Besuche empfangen und verbotene Texte und Briefe in seiner Schmutzwäsche hinausschmuggeln. Am 8. Dezember, am Fest der ohne Erbsünde empfangenen Mutter Jesu, konnte er im Gefängnis endlich vor seinem Freund und Mitbruder Franz von Tattenbach SJ seine Letzten Gelübde ablegen, was ihn innerlich sehr stärkte. Es wurde ihm übrigens die Freilassung für den Fall angeboten, dass er aus dem Orden austreten würde.


Prozess und letzte Tage
Delp und die weiteren Kreisauer warteten lange auf ihren Prozess, der am 8. und am 10. Januar 1945 stattfand. Er wurde von Roland Freisler, dem Präsidenten des Volksgerichtshofs, einem ehemaligen Sowjet-Kommisar, der
sich zum fanatischen Hitler-Anhänger gewandelt hatte, übel beschimpft, u.a. als „Ratte“, die man austreten müsse. Am 11. Januar um 16.00 Uhr wurde das Todesurteil verkündet.
In den verbleibenden 20 Tagen quälenden Wartens nach der Urteilsverkündung schrieb er viele Briefe und geistliche Meditationen, was er schon während der Advents- und zu Weihnachtszeit getan hatte.
Nach dem Todesurteil wirkte Delp fast erleichtert. Eugen Gerstenmaier, Mitangeklagter aus dem Kreisauer Kreis und nach dem Krieg langjähriger Präsident des Bonner Bundestages, kam mit einer Zuchthausstrafe von 7 Jahre davon. Er erinnert sich, Delp habe sich ihm nach der Verhandlung mit „offenem Lachen“ zugewandt und dazu bemerkt: „Also, Gerstenmaier, frisch gestorben!“Todernster Galgenhumor. – im wahrsten Sinn des Wortes! „Das war kein Gericht, sondern eine Orgie des Hasses …“, schreibt er noch am selben Abend an seine beiden Unterstützerinnen, die ihn im Gefängnis versorgten und seine Texte hinausschmuggelten.
Die Gründe für das Todesurteil liegen für ihn offen zutage: „Gedanken an eine deutsche Zukunft nach einer möglichen Niederlage … Unvereinbarkeit von NS (Nationalsozialismus) und Christentum. Der Orden ist eine Gefahr und derJesuit ein Schuft … wir sind grundsätzlich Feinde Deutschlands. Die katholische Lehre von der iustitia socialis (Soziale Gerechtigkeit) als Grundlage für einen kommenden Sozialismus.“ „Der eigentliche Grund zur Verurteilung ist der, dass ich Jesuit bin und geblieben bin“, so schreibt er an jenem Tag an seine Mitbrüder.
Es folgen dann drei Wochen quälenden Wartens. Am 23. Januar werden seine Freunde hingerichtet. Er bleibt übrig. Im letzten Brief an seine Sekretärin vom 26. Januar gesteht er: „Diese Woche war die härteste und elendeste Zeit seit Juli. Der Tod der Freunde, besonders Helmuths, ist an sich schon bitter. Dazu das so nahe und grausame Erlebnis der Logik des Unheils, des Vernichtungswillens bis zuletzt. Und dann wieder dieses so eigenartige
Übriggelassen-werden. Ich fühle mich dadurch neu verpflichtet, zu leben und zu hoffen. Obwohl es mir nie so schwergefallen ist wie diese Woche.“
Auf dem letzten Bestellzettel vom 30. Januar im Wäschepaket steht nur noch: „Beten und glauben. Danke.“ Er muss noch zwei Tage warten. Der Gefängnispfarrer berichtete über Delps letzten Gang, er habe heiter gewirkt
und einen einzigen Satz zu ihm gesagt: „Ach, Herr Pfarrer, in einer halben Stunde weiß ich mehr als Sie!“
Delps Asche wurde als letzte Demütigung auf den Berliner Rieselfeldern verstreut, wo man Gemüse mit mechanisch gereinigtem Abwasser anbaute. Gräber oder Reliquien der Widerstandskämpfer sollte es auf keinen Fall geben.

Rück- und Ausblick
Ich habe versucht, Euch einen Eindruck von einem faszinierenden Menschen und Jesuiten zu geben: Alfred Delp war ein hochbegabter Intellektueller, der um seine Überlegenheit wusste, eine kantige, mitreißende und inspirierende Persönlichkeit, ein gläubig-suchender Katholik, ein begnadeter Seelsorger und Prediger, gleichzeitig hilfsbereit und zupackend, manchmal auch im Blaumann.
Er war angewiesen auf Freundschaft und Intimität, mit ehemaligen Schülern, mit Männern in und außerhalb des Ordens. Seine Vertrautheit und freundschaftliche Nähe zu Mitarbeiterinnen und zu Frauen allgemein fallen
besonders auf. Wie viele Jesuiten hatte er auch etwas Verschlossenes und Sprödes in seinem Wesen, hatte innere Blockaden und Grenzen – wie jeder Mensch. Ich möchte am Schluss nur ein einziges Wort als sein bleibendes
Vermächtnis herausgreifen.

Es ist das vom ihm häufig gebrauchte Wort „Herrgott“. Das ist für ihn mehr als die damals und bis heute gebräuchliche Rede von Gott. Für Delp liegt in diesem Wort die ganze Wucht des jüdischen „Ich bin der Herr, dein Gott!“ Er allein, nichts und niemand sonst! Am 1. Dezember schreibt er an die beiden Frauen, die ihn regelmäßig im Gefängnis besuchten: „Halten wir Ihm (dem Herrgott) halt weiter die gefesselten Hände als Anerkennung der inneren Bindung hin und setzen wir weiterhin die ganze Existenz auf ihn. Dass sich das ganze Leben so in ein Wort der Anbetung und Hingabe sammeln kann! Und auch des Vertrauens!“
Viele Ältere kennen noch den Gott der Verbote, der Angst, der peinlich zu erfüllenden Vorschriften, der bis zum Konzil weithin gepredigt wurde. In der Folgezeit wurde er abgelöst vom Gott der Liebe – GottseiDank! Dabei wurde jedoch die Liebe Gottes oft zu sehr banalisiert und damit ihrer dunklen, abgründigen Seiten beraubt. Gott wandelte sich zum netten Onkel, der alles versteht und verzeiht und ohne den man auch gut auskommen kann.
Es braucht heute wieder neu den Gott, der ganz anders ist: erhaben, majestätisch, nicht zu fassen, jenen Herrgott, auf den wir als Geschöpfe dauernd verwiesen sind. Unsere kreatürliche Begrenztheit und Ausgesetztheit
treten mit dem steigendem Krisenpegel unserer heutigen Welt immer mehr zutage. Da hilft nur eines: „Anbetung und Liebe, vertrauen, glauben und beten“
– Das sind Grundworte, die Alfred Delp uns gerade heute immer wieder ans Herz legt.

Karl Kern SJ

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